Dienstag, 21. Juni 2022

Fronleichnam in Göllheim

 

„Endlich!“, sagte ich mir.

„Endlich darf ich nach zweieinhalb Jahren auch erleben, wie Fronleichnam in meiner neuen Pfarrei gefeiert wird!“

Ja und was für ein Fest!!

Bis zum Beginn des Gottesdienstes wusste ich kaum Details – denn die Gläubigen unserer Pfarrei sind ein so großartig eingespieltes Team, dass sie alles perfekt vorbereiten und organisieren, ohne dass der Pfarrer hinterher sein muss.

Alles war akkurat abgesprochen, zeitlich koordiniert und perfekt gestaltet.

Da wurden schon Tage zuvor die Wiese im Park, der zum Pfarrheim gehört, gemäht und gepflegt.

Die Kirche wurde geschmückt, der Gastraum hergerichtet, das Essen bestellt, von der Musikkapelle Göllheim geprobt, der Himmel herausgeputzt, die Fahnen und Standarten gerichtet, die Fähnchen für die Wegmarkierung ausgepackt, Getränke aufgefüllt, Kuchen gebacken, sich Zeit genommen, um bei diesem und für dieses Fest ganz da sein zu können.

Schon früh ging es los am Fronleichnamstag. Um 06:00 Uhr fanden sich 21 Kinder und Jugendlichen ein, um den fast 40m² großen Fronleichnamsteppich zu legen. Da die Blüten ziemlich durch waren dieses Jahr, wurde gefärbte Sägespäne verwendet (die uns freundlicherweise wieder gespendet wurde). Das hatte den Vorteil, dass wir sehr saubere Linien ziehen konnten und die Farben leuchteten, aber es waren halt leider keine Blumen. Zwei Kinder hatten ein paar Blüten dabei, die der Garten noch hergab, die haben wir dann aber auch mit Freude verwendet.

Unser Motiv fasste ganzheitlich das Thema Frieden auf.

Die ukrainische Flagge stellte den Hintergrund dar. Das Land, das derzeit unter dem grausamen Krieg leidet.

Der Regenbogen, der das ganze Bild durchzieht, steht einerseits für den Bund Gottes mit dem Menschen, aber andererseits für den Bund unter den Menschen, die wir alle von Gott her unser Leben geschenkt bekommen haben und alle vor Gott in gleicher Würde stehen. In all unserer Vielfalt haben wir uns zu akzeptieren und zu respektieren.

Dies verdeutlicht die Friedenstaube, die den Bildrahmen sprengt und aus dem visionären Bild in die reale Gegenwart fliegt. Sie steht für den Geist Gottes, der in uns die Sehnsucht nach dem Frieden weckt.

In der Vielfalt der Farben des Regenbogens findet sich Gott selber wieder, weil er der Ursprung von allem ist, was Leben ist und Lebensraum darstellt. So ist der Bogen verankert im Alpha und Omega, dem Herrn des Anfangs und des Endes des Lebens.

Im Bewusstsein, dass wir – auch wenn wir noch so viel vermögen könnten – immer auch unperfekt bleiben, stellt das Zentrum des Bildes die Hl. Eucharistie dar.

Ohne Gott geht’s nicht.

In Leib und Blut will er als Auferstandener da sein, in uns sein und mit uns in unserem Leben sein als unsere Kraftquelle und Inspiration, aus der wir denken, reden und handeln können um des Friedens, der Menschen und Gottes Willen.

Dabei ist wichtig: Hier geht es um die Essenz des Allmächtigen – nicht um die Kirche.

Die Kirche ist nicht Gott. Sie ist ein notwendiger Rahmen, in dem sich Religion zum Ausdruck bringen kann, aber sie ist, da von Menschen ausgefüllt, auch fehlerhaft und sündhaft. So drückt auch die Liturgie dies an etlichen Stellen des Messbuches aus.

Weder sie, noch jede*r Einzelne, noch die Kirche, noch sonst eine Gruppe werden ohne Scheitern das Leben gestalten können.

Daher nehmen wir Gott im Leib Christi, dem gewandelten Brot, mit in unseren Alltag, dass er uns stärkt, begleitet, inspiriert, berät, motiviert – damit wir mehr und mehr seine Liebe durch uns spürbar werden lassen können.

Dazu haben wir die Bitte aus einem allseits bekannten Lied auf den Fronleichnamsteppich geschrieben:

„Herr, gib uns Deinen Frieden!“, wohlwissend: Wir alleine schaffen es nicht endgültig!

80 Jahre Friedensverhandlungen und Friedensverträge in Europa haben angesichts der Gegenwart gezeigt, dass wir es nicht vollends schaffen.

Im Tribut unseren Schwestern und Brüder der Ukraine gegenüber, haben wir diese Friedensbitte auch in ukrainischer Schrift auf den Teppich geschrieben.

Gleichzeitig waren schon unzählig viele Menschen unterwegs den Prozessionsweg mit Fähnchen zu markieren.

Was ein schöner Brauch, den ich so bis dato nicht kannte. Und der Weg war gar nicht kurz:

An der Kirche vorbei die Alte Heeresstraße hinunter über die Mainzer Straße bis zum Uhlschen Haus, wo sich der erste Altar befand, dann über Altstraße und „Am Marktplatz“ bis zum neuen Marktplatz zum zweiten Altar, durch das Dreisener Tor bis zur protestantischen Kirche zum dritten Altar und dann zum Abschluss wieder in die kath. Kirche.

Was eine Arbeit, den ganzen Weg engmaschig mit Fähnchen zu schmücken.

Die drei Altäre, die aufgebaut wurden, wurden ebenfalls sehr früh von lieben engagierten Menschen aufgebaut und jeder Altar war ein Schmuckstück und liebevoll hergerichtet. Sehr gefreut hat mich zu erfahren, dass der dritte Altar ein Gemeinschaftsprojekt zwischen katholischer und evangelischer Kirche ist! TOLL!! DANKESCHÖN!!

Alle hatten sich das reichhaltige 5-Sterne-Frühstücksbuffet, das im Pfarrheim gerichtet wurde, redlich verdient. Die, die nicht am Frühstück dabei sein konnten: Kommt nächstes Jahr alle – es reicht wirklich für alle und noch mehr und die Gemeinschaft nach der morgendlich frühen Arbeit, die beim Frühstück noch vor dem Hochamt entsteht, hat seinen ganz eigenen Reiz und Charme.

Um 09:30 Uhr zogen wir dann mit sage und schreibe 15 Messdienerinnen und Messdienern zum feierlichen Hochamt in eine sehr sehr gut besetzte Kirche ein. Es ist immerhin auch ein freier Tag, gefolgt von einem Brückentag und Wochenende – und dennoch waren so viele Kinder und Jugendliche da zum Dienen!

Schola, Orgel, das kräftige Mitfeiern der Gemeinde, der sehr gute Dienst der Messdiener*innen………….

Also wer da als Pfarrer klagt,………da kann man doch nur loben und wieder loben und danken umso mehr!

Bis zum Ende des Gottesdienstes war für mich alles soweit einigermaßen bekannt.

Aber wie ist alles Weitere hier in Göllheim?

Also da durfte ich noch viel dazulernen.

Die Prozessionsordnung habe ich sichtlich nicht kapiert und ganz falsch wiedergegeben, aber die Gläubigen hier sind alle Profis und so durfte ich vertrauensvoll einfach mitlaufen – so konnte nichts schief gehen.

Angesichts der Hitze war dies eine Herausforderung an uns alle – besonders für den Musikverein. Die Musiker gaben alles und musizierten so wunderbar bei dieser Hitze und da beim Musizieren auch noch Laufen. Was eine Leistung bei über 30°C !!!

Es war letztendlich für alle eine großartige Leistung. Auch für die Himmelsträger, die stets beim Warten an den Altären immer in der prallen Sonne stehen mussten; und leicht ist der Himmel auch nicht!

Was meiner Haushälterin und mir auffiel war das konzentrierte Mitfeiern, Mitbeten und Mitsingen bei der Prozession. Nebengespräche hielten sich sehr in Grenzen. Die Menschen waren ganz bei der Sache.

Neu war, dass die Altäre eigens inhaltlich gestaltet waren.

Herr Göran Müller und Herr Thomas Dittrich, die den Gottesdienstleiter*innenkurs absolviert haben, übernahmen die thematisch inhaltliche Gestaltung des ersten und zweiten Altares; der Gemeindeausschuss Weitersweiler den dritten Altar.

Die Themen erinnerten und mahnten uns zum Erhalt des Lebens und Lebensraumes in sozialer, politischer, wirtschaftlicher, ökologischer und spiritueller Hinsicht. Gott wird uns dabei stärken und begleiten, wenn wir es zulassen.

Angesichts der Zeit, in der wir leben, ist dies eine wichtige und auch Hoffnung schenkende Botschaft, denn sie zeigt uns, dass wir nicht ohnmächtig hinnehmen müssen, was passiert, sondern mit Gott auch etwas bewegen können – aber vor allem eben mit IHM. Sehr schön waren alle inhaltliche Altarthemen gestaltet! Sehr sehr gut!

Gut, dass ich im Vorfeld informiert wurde, dass an den Altären vom Kirchturm aus geschossen wird, wenn der Segen erteilt wird.

Ich habe das noch nie erlebt und kannte das auch nicht.

Eine schriftliche Anfrage an unser Büro war im Nachgang von Fronleichnam die Frage, ob das angesichts der Schüsse auf den Feldern (gemeint sind wohl die Schlachtfelder des Krieges), denn sein müsse.

Die Frage fand ich nicht unberechtigt und habe mich über die Tradition der Fronleichnamsböller informiert.

Es gibt drei Hintergründe für die Fronleichnamsböller, die bis in das 17. Jahrhundert zurückreichen und vor allem im Voralpenland und in der Schweiz heimisch waren und auch noch sind:

  1. Das Selbstverständnis der Katholiken aus der reformatorischen/nachreformatorischen Zeit   

    Im Zuge der Reformation mussten sich beide nun koexistierenden Konfessionen selber finden und mit der Koexistenz arrangieren. Dass das nicht einfach war, erlebte man ja bis in die Neuzeit. Auch war es wichtig, dass           jede Konfession ihr eigenes Profil und Selbstverständnis findet. War das Fronleichnamsfest und die Prozession aus dem Blutwunder von Bolsena entstanden, avancierte es im 16. Jh. in der Wahrnehmung der Menschen als gegenreformatorische Demonstration. Da musste nun jeder zeigen, dass er da ist. Sichtbar und hörbar. Die Böller sollten alle wissen lassen: Wir sind noch da!           

    Heute brauchen wir dafür die Böller nicht mehr, denn die Konfessionen sind Freunde und Partner geworden. Wohl aber erinnert es allgemein daran, dass es unsere beiden Kirchen – evangelisch wie katholisch – noch gibt. Denn um die gesamtgesellschaftliche Daseinsberechtigung müssen sich beide Konfessionen gemeinsam bemühen. Zum Teil sind wir selber schuld an der Misere – die Zeitungen sind voll davon – aber wir haben auch Gutes aufzuweisen, und dafür lohnt es sich auch hörbar zu sein.     
     
  2. Der praktische Grund für die, die nicht mit der Prozession mitgehen konnten

    Nicht mit der Prozession mitgehen zu können war früher für die Betroffenen eine Katastrophe und auch heute noch schmerzt es die Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht daran teilnehmen können. Nicht wenige klagten mir ihr Leid und ihre Traurigkeit, dass sie leider nicht mehr mitlaufen können, aber in der Kirche warten werden, bis wir wieder zurückkommen. 

    Um diesen Schwestern und Brüdern in einer Zeit, in der es noch kein WhatsApp und keine SMS gab, Anteil am jeweiligen Altarsegen auf dem Weg geben zu können, wurden als akustisches Signal – hörbar im ganzen Dorf- / Stadtgebiet – ein oder mehrere Böller abgegeben. So wussten die Schwestern und Brüder: „Jetzt wird gerade der Segen gespendet!“ und sie konnten diesen mit ihrem persönlichen Gebet begleiten. Das hat auch dieses Jahr den älteren Personen gut gefallen, dass sie auf diese Art und Weise teilnehmen konnten.         
     
  3. Der politische Moment des „Mahn-Böllers“ für den Frieden aus dem Siebenjährigen Krieg     

    Hier geht es allerdings um Sachsen: Als Preußens König Friedrich II am 21. Februar 1763 auf Schloss Dahlen in Sachsen die Schlussakte des Friedensabkommens zwischen Preußen und Sachsen und Österreich im Zuge des Pariser Friedens unterzeichnete, soll angeblich in Sachsen der wiederhergestellte Friede durch das Abfeuern von Kanonen ohne Munition dem ganzen Land mitgeteilt worden sein. Ob das historisch nun so war oder nicht, aber die Tradition des Mahnböllers oder Friedensböllers ist mir durchaus bekannt. Symbolisch wird damit das Ende eines Krieges, der Beginn des Friedens oder die Forderung nach Frieden dokumentiert – und zwar dadurch, dass die Kanonen / Schusswaffen ohne Munition – also unwirksam und militärisch nutzlos abgefeuert werden und damit ihre kriegerische Bedeutung verlieren.   

    Nun…….dieses Anliegen ist mehr als aktuell und in Verbindung mit dem, der der Friede selber ist – Jesus Christus, ergibt sich das schöne Symbol, dass die Waffen im Angesicht des Segens des Allmächtigen keinerlei Wirkung mehr haben und für den Krieg nicht mehr taugen.

Wie schön wäre es, wenn das Bewusstsein um Gott genau dies auslösen würde – nämlich, dass die Waffen ihren Zweck verfehlen, weil Menschen sie nicht mehr für den Krieg benutzen.

Auch durfte ich noch lernen, dass am dritten Altar üblicherweise der Wettersegen gebetet wird. Das kenne ich auch nicht – eher, dass der Wettersegen von Christi Himmelfahrt bis Kreuzerhöhung in nahezu jedem Gottesdienst gebetet wird.

Nächstes Jahr wird der Wettersegen am dritten Altar gespendet! Ich habs mir gleich eingetragen.

Nach diesem feierlichen Gottesdienst mit der feierlichen Prozession und den hier üblichen Traditionen schloss sich das Pfarrfest an, das ganz viele Menschen wahrnahmen und besuchten…….und ganz viele Menschen dafür engagiert waren: Räte, Gemeindeausschuss, kfd, Familiengruppe, Jugend, Messdiener, Musikverein (der weiterhin in der brütenden Hitze so toll musizierte, um uns eine Freude zu machen – RESPEKT!), private Helferinnen und Helfer.

Nach dem Mittagessen [lecker Schnitzel], kam Familie Probst vom Familienzirkus Probst vorbei und hatte ein wunderschönes Programm für alle, vor allem auch für die Kinder dabei.

Das Kuchenbuffet schloss dann den Tag und das tolle Fest ab.

Was mich sehr beeindruckt hat war die große Gesamtteilnahme der Menschen hier an Fronleichnam. Man spürte sehr, dass dies ein Bedürfnis der Menschen darstellt und nicht ein „Muss“ ist, weil es eben nun der Donnerstag nach Dreifaltigkeit ist und der halt nun mal Fronleichnam heißt, sondern vielmehr, weil hier religiöse und gesellschaftliche Verbundenheit von Mensch zu Mensch zu Gott gewollt ist.

Auch dass viele jungen Menschen und Familien teilgenommen hatten, fand ich sehr bewundernswert.

Daher möchte ich – in der Hoffnung alle Bereiche und Gruppen genannt zu haben – allen ein sehr sehr herzliches und beindrucktes Dankeschön, meine Hochachtung und meinen Respekt ausdrücken für diesen tollen und phänomenalen Fronleichnams-Festtag!

Zwei ganz besondere Momente waren für mich aber auch:

  1. Die Tatsache, dass Pfr. Matheis gemeinsam mit mir dieses Fest zelebriert hat und sich auch die Liturgie mit mir geteilt hat. Das hat mich besonders gefreut!!
     
  2. Der schöne Moment, als wir am evangelischen Pfarrhaus vorbeikamen und Frau Rummer und Pfr. Rummer in der Tür standen und wir uns einander zuwinkten. Das war für mich auch ein emotionaler Moment, weil ich sehr dankbar bin für die tolle Ökumene, die hier möglich ist!

Euch allen aus ganzem Herzen alles Liebe und Gute – Gottes Segen sei mit Euch allen!

(J.M.)

Die Bilderleiste rechts zeigt von oben nach unten folgende Bilder:

  • Den fertigen Fronleichnamsteppich mit den Kindern und Jugendlichen, die ihn gefertigt haben [drei fehlen, die dann noch mitgeholfen haben die Fähnchen im Ort aufzustellen]
  • Den fertigen Fronleichnamsteppich von nah
  • Den fertigen Fronleichnamsteppich mit möglichst viel Kirchturm
  • Frühstücksbuffet, Teil I
  • Frühstücksbuffet, Teil II
  • Eine unserer gedeckten Tafeln für das Mittagessen nach dem Festgottesdienst und der Prozession